Norder Platt

Aus Norder Stadtgeschichte
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Als Norder Platt bezeichnet man die Varietät des Ostfriesischen Niederdeutsch, die sich in der Stadt Norden und den umliegenden Gebieten des Norderlandes seit dem Mittelalter entwickelt hat und bis heute gesprochen wird. Durch die Randlage und verschiedene Einflüsse spricht man im Norderland ein Platt, das sich von demjenigen im restlichen Ostfriesland in einigen charakteristischen Merkmalen unterscheidet.

Geografische Verbreitung

Infotafel auf Baltrum mit der fürs Norder Platt charakteristischen Wortvariante ne statt dem im übrigen Ostfriesland gebräuchlichen neet oder nich.

Der Begriff Norder Platt dient naturgemäß zur Bezeichnung der in der Stadt gesprochenen niederdeutschen Sprache (Norder Platt im engeren Sinne).

Er bezeichnet weiterhin aber auch die Besonderheiten der plattdeutschen Varietäten, in welchen sich die Ortsdialekte im überwiegenden Gebiet des Altkreises Norden bzw. des historischen Norderlandes (Gegenden um Hage, Berum, Großheide und Arle sowie diejenigen südlich von der Stadt Norden im Brookmerland) allesamt ähneln. Auch die durch die räumliche Nähe zur Stadt Norden hin orientierten Inseln Juist, Norderney und Baltrum teilen viele Besonderheiten des Norder Platt.

Deutliche Unterschiede existieren aber bereits zum Krummhörner Platt, das sich eher zur Emder Variante orientiert, obwohl die Krummhörn ebenfalls Teil des ehemaligen Landkreises Norden (nicht aber des Norderlandes) gewesen ist.

Literatur, Veröffentlichungen, Autoren

Das ostfriesische Plattdeutsch ist, im Vergleich zum Niederdeutschen überhaupt, welches seit langer Zeit in vielen norddeutschen (und nordniederländischen) Regionen von der jeweiligen Dachsprache verdrängt wird, noch in einem verhältnismäßig lebendigen Zustand. Es existiert eine reiche Literatur in ostfriesischem Platt. Speziell das Norder Platt ist dabei erkennbar unterrepräsentiert. Dies ist wichtig zu wissen, da ein Großteil der regionalen Literatur von Autoren aus dem Raum Leer stammt und daher möglicherweise ein falsches Bild vermitteln kann. Es existiert bisher keine zusammenhängende Darstellung aller Besonderheiten des Norder Platt.

Autoren, die unter anderem im Norder Platt (im weiteren Sinne) schreiben oder geschrieben haben:

  • Wilfriede Aden-Bakker (* 1943 im Harlingerland, + 2017 in Norden)
  • Rudolf Bielefeld (* 1867, + 1933)
  • Else Bontjes (* um 1950 in Osteel)
  • Edzard Conring (* 1928, + 2012)
  • Arend Dreesen (* 1883 in Norden, + 1928 in Norden)
  • August Dreesen
  • Willrath Dreesen
  • Gitta Franken
  • Fooke Hoissen Müller (* 1798 in Aurich, + 1856 in Berlin)
  • Frerich Hokema (* 1897 in Norden, + 1984)
  • Frank Jakobs (Norden), veröffentlicht u. a. Hörbeiträge beim Norddeutschen Rundfunk
  • Ludwig Kimme (* 1907 in Grieth, + 1984 in Norden)
  • Jan (Johann) Meiners (* 1908 in Bant, + 1998 in Visquard)
  • Johann Rabenstein (Großheide)
  • Marieluise Stolper (* 1947 auf Juist)
  • Christof Wehking (* 1924 in Norden, + 2004 in Malente)

Besondere Merkmale des Norder Platt

Das Gebiet um Norden lässt sich linguistisch grob der nordöstlichen Hälfte des ostfriesischen Platt zuordnen. Davon zu unterscheiden ist die südwestliche Hälfte (Krummhörn, Emden, Landkreis Leer).

1. Betrifft die Aussprache

  • Sprachlich weniger komplexe Realisierung einiger Langvokale (grob: einfacher, weniger Diphthonge oder gar Triphthonge, weniger Überlängen)[1]

Beispiel: School, realisiert im Norder Platt als "Schgoul", im Gegensatz dazu Krummhörn "Schgaul", Leer "Schgeaul"

Beispiel: Norderney, auf platt konventionell und einheitlich geschrieben als Nörderneei (Bestandteile Nörden "Norden", neei "neu", letzteres Wort in großen Teilen Ostfrieslands lautlich realisiert als Triphthong wie *neeäi); wurde nach Protesten aus der Norderneyer Bevölkerung auf dem zweisprachigen Ortsschild allerdings angepasst an die lokale Aussprachevariante, welche auch derjenigen des Norder Platt entspricht: Nördernee (realisiert mit Diphthong -*neei)

  • Die Überlänge in der Konjugation tritt nördlich der Leybuchtlinie meist nicht auf.
  • Sonderfall: Arvt (Erbse), ostfrieslandweit einheitliche Schreibweise, aber im Norder Platt gesprochen wie *Aart, im Gegensatz dazu im südlichen Ostfriesland realisiert als *Aarv.
  • Starke Verschleifung von Verben (A. Dreesen: "Mu'ji" statt "Mutten ji"), Dentalpräteritum ggf. unrealisiert (A. Dreesen: "Denn wickel Oma sück uut höer Däkens")
  • In- und auslautendes -d- oft unrealisiert (allgemeines Merkmal des Plattdeutschen, im Norder Platt sehr ausgeprägt): A. Dreesen: "boll" statt "bold"; "up Bea" statt "up't Bedd"

2. Betrifft Aussprache und Schreibweise

(Variante im Norder Platt fett:)

Spree (Star), anstatt wie in anderen Regionen oft: Spraa

Froo (Frau), boen (bauen), troen (heiraten), anstatt sonst oft: Frau, bauen, trauen

Flass (Flasche), Gras (Gras), anstatt sonst auch: Fless, Gress

denn, wenn, wennehr - sonst oft mit -a-

dwelen (irren), reren (weinen), sonst auch: dwalen, raren

Budel (Umstand, Zustand), sonst auch Bodel

Goos (Gans), sonst vereinzelt auch Gaant oder Gaus

bleihen (blühen), breihen (brühen), fleiten (pfeifen), freien (freuen), gleihen (glühen), greien (gedeihen), andernorts realisiert mit -eu-

Eilamm (weibliches Lamm), statt sonst Öilamm oder Aulamm

Köppke (Tasse), löss (lose), över (über, übrig), sonst meistens ohne Umlaut realisiert

Weitere besondere Wortvarianten: woll (wohl), sonst oft wall, nee (nicht), (Abfall des -t, Schriftsprache oft als neet, gesprochen als nee), kien (kein), anstatt keen

3. Betrifft Aussprache, Schreibweise und Grammatik

Lautung einiger Formen des Präteritums: freet, geev, kweem (neben keem), leeg, nehm, seeg, seet, weer (neben was) (in anderen Gebieten meist mit kurzem -a- realisiert)

(fressen, geben, kommen, legen/liegen, nehmen, sagen, sitzen, sein)

Betrifft Ablautreihen 7, 8…

Infinitiv, Imperativ Person Präsens Präteritum Partizip II
freten (fressen), freet ik freet freet freten
du frettst freetst
he,se frett freet
wi,ji,se freten freten

Formen von „wesen“ (sein)

Infinitiv, Imperativ Person Präsens Präteritum Partizip II
wesen ik bün weer (heb) west
du büst weerst
he,se is weer
wi,ji,se sünd weren

Müssen: moten (he moot), statt in vielen anderen Varianten möten oder mutten

Sollen: sölen/sallen/sullen? Bei A. Dreesen: "se sull", "wat sull' wi"

Flugblatt einer Theatergruppe aus Rechtsupweg, ganz unten der Hinweis "Anfangen don't wi immer..." im charakteristischen Sonderplural auf -nt. Das angehängte -t wird intuitiv als ungewöhnlich empfunden und daher mit Apostroph vom regulär gebeugten Verb abgetrennt.

Einheitsplural auf -nt bei einigen Verbstämmen:

Sehr charakteristisches Merkmal des Norder Platt, das nirgendwo sonst beobachtet wird. Diskutiert wird eine Entstehung aus altem, friesischem Substrat oder durch frühe Handelskontakte mit den Hansestädten[2]. In der Schriftsprache wird dieses Merkmal nicht bei allen Autoren bewusst eingesetzt, da die überwiegende Literatur den Einheitsplural auf -en verwendet und dies oft als Orientierung dient. In der gesprochenen Sprache ist der Gebrauch von Flexionsformen, wie es für alle ostfriesischen Varianten gilt, selbst bei ein und demselben Sprecher nicht einheitlich und hängt u. a. von der Wortstellung im Satz und vom Grad der "Verschleifung" ab.

Beispiel: wi stahnt, ji doont, se gahnt; de Ohren doot di sehr

Aber, in anderer Wortstellung: stahnt wir, doont ji, gahnt se, sprachlich oft verschliffen realisiert als *stahwi, *dooji, *gahsei

Hauptsächlich bei Verben mit einsilbigem Infinitiv beobachtet, die sehr häufig verwendet werden (doon, gahn, sehn, slaan, stahn, könen, hebben). Autoren und Sprecher verwenden aber regelmäßig bei allen mehrsilbigen Verben den Einheitsplural auf -en.

Als Faustregel gilt: je weiter östlich sich ein Ort befindet, umso öfter hört man im Plural am Ende ein -t.

Einzelnachweise

  1. vgl. Lücht, S. 38, Tab. 2, „Dollart-Linie“
  2. Hans Janßen, 1937, in Deutsche Dialektgeographie